Kurze Geschichte der Adlerwerke
Von der Maschinenhandlung zu den Adler-Fahrradwerken
Die Geschichte der Adlerwerke, vormals Heinrich Kleyer AG, ist eng mit der Entwicklung Frankfurts von einer Handelsstadt zur Industriestadt und der Verbreitung des Fahrrades in Deutschland verbunden. Angeregt durch ein „Cyclerennen“, das der Firmengründer 1879 in Boston besuchte, gliederte Heinrich Kleyer 1880 seiner Maschinenhandlung in der Bethmannstraße 8 eine „Velociped“- Abteilung an. Angeboten wurden in England gefertigte Hochräder, eine einheimische Fahrradindustrie existierte noch nicht.
Bereits ein Jahr später ließ Kleyer nach eigenen Entwürfen und Patenten Hochräder fertigen. Die Nachfrage war so groß, dass er seine Fahrradhandlung in die Gutleutstraße 9 verlegen musste. Ab 1886 verkaufte Kleyer unter dem Namen ADLER seine selbst gefertigten „Niederräder“, die das Interesse des Königlich Preußischen Kriegsministeriums weckten. Die umfangreichen Aufträge des Kriegsministeriums sowie die allgemein steigende Beliebtheit des Fahrrads ließen die Adlerwerke expandieren und die Produktion wurde 1890 in die damalige Höchster Straße (heute: Kleyerstraße) verlegt. Die große Nachfrage verlangte weitere Investitionen, so dass 1895 Heinrich Kleyers Fabrik in die „ADLER-Fahrradwerke vorm. Heinrich Kleyer Aktiengesellschaft“ umgewandelt werden musste.
1896 wurde bereits das 50.000ste Fahrrad produziert, die Fertigungsstätten wurden entlang der Höchster Straße, Kriegkstraße und Weilburger Straße erweitert, zumal seit 1896 in den Adlerwerken auch Schreibmaschinen nach amerikanischem Patent produziert und über den Fahrradhandel vertrieben wurden. Nachdem 1898 das 100.000ste Fahrrad hergestellt war, fanden ab 1899 neue Verkehrsmittel das Interesse gehobener Käuferschichten.
Die ungebrochen erfolgreiche Fahrradproduktion wurde daher mit Angeboten von zunächst dreirädrigen, dann zweirädrigen Motorrädern erweitert. Deren Produktion wurde jedoch 1909 eingestellt und erst 1949 wieder aufgenommen.
Eintritt in die Kfz- und Kriegsproduktion
Mit der Herstellung von Motorrädern traten die Adlerwerke auch in die Kfz-Produktion ein. Gebaut wurden bis zur Umstellung in die Kriegsproduktion 1940 Pkw, Lieferwagen sowie Krankenwagen. Die Produktion von Nutzfahrzeugen wie Lkw, Feuerwehrfahrzeugen und Omnibussen währte nur von 1910 bis 1925, spielte aber im Ersten Weltkrieg eine bedeutende Rolle.
Im Ersten Weltkrieg wurden die Adlerwerke Rüstungsbetrieb. Hergestellt wurden neben den schon erwähnten Fahrrädern und Nutzfahrzeugen, Panzergetriebe, Motoren für Flugzeuge und Luftschiffe, komplette Torpedos, Granaten und Wasserbomben.
Erst nach der Überwindung der Inflation 1924/25 gewann die Pkw-Produktion wieder an Fahrt. Die Adlerwerke reüssierten mit einigen innovativen Modellen. Neben den zukunftsweisenden technischen Standards waren die Adler-Modelle auch wegen der Formgebung ihrer Karosserien beliebt. Die Designs entwickelte u. a. der Bauhaus-Architekt Walter Gropius.
Die Adlerwerke – ein Rüstungsbetrieb
Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs musste die Produktion abermals auf militärische Bedürfnisse umgestellt werden. Im Verlauf des Krieges produzierten die Adlerwerke Automatikgetriebe, Getriebe für die Panzer „Tiger“ und „Panther“ und Turbinenflugzeuge, Maybach- und Schnellbootmotoren, Halbkettenfahrzeuge, Kübel- und Leichtlastwagen, Torpedo-Antriebe, Geschosshülsen und –antriebsätze, sowie eine Reihe weiterer rüstungswichtiger, feinmechanischer Halbfertigungsprodukte.
Nachkriegsentwicklung
Nach dem Krieg produzierten die Adlerwerke weiterhin Fahrräder und Büromaschinen; ab 1949 auch wieder Motorräder.
Auf Anordnung der amerikanischen Militärregierung wurde die Autoproduktion nach dem Krieg nicht mehr aufgenommen. Die Fertigungsanlagen wurden ab 1947 beschlagnahmt und demontiert. Überlegungen nach der Währungsreform 1948, wieder Autos zu entwickeln und produzieren wurden nicht weiter verfolgt.
Die Motorradproduktion wurde 1958 eingestellt, nachdem der Anteilseigner Max Grundig sich mit dem Zusammenschluss der Nürnberger Triumph-Werke und den Adlerwerken ganz auf die Büromaschinenproduktion verlagerte, die von wechselnden Anteilseignern bis 1998 fortgeführt wurde.
Der Einsatz von Fremd- und Zwangsarbeitern, Kriegsgefangenen und KZ-Häftlingen
Fremdarbeiter – Arbeitserziehungslager – Zwangsarbeiter
Bis zum Kriegsbeginn 1939 spielten ausländische Arbeitskräfte im Deutschen Reich eine untergeordnete Rolle. Nach dem Überfall auf Polen konnte die deutsche Arbeitsverwaltung auf ein erhebliches Arbeitskräftereservoir zurückgreifen. Zum einen sollten die Arbeitskräfte in Polen auf kriegswichtige Betriebe verteilt, zum anderen im Deutschen Reich in der Landwirtshaft eingesetzt werden. Auch nach dem Frankreichfeldzug wurden französische Kriegsgefangene und Zivilarbeiter zunächst nur in der Landwirtschaft eingesetzt. Mit der Ausweitung des Ausländereinsatzes in weiteren Wirtschaftszweigen stieg die Anzahl der Versuche der ausländischen Arbeitskräfte, sich den repressiven Arbeitsbedingungen zu entziehen. Zur Disziplinierung und Bestrafung von „Arbeitsvertragsbrüchigen“ wurden ab 1940 so genannte „Arbeitserziehungslager“ (AEL) eingerichtet, in die auf begrenzte Zeit auch deutsche Arbeitskräfte inhaftiert wurden. In Frankfurt bestand von April 1942 bis März 1945 das AEL Heddernheim.
Die zunächst erfolgreiche Okkupation weiter sowjetischer Gebiete ermöglichte es der nationalsozialistischen Arbeitsverwaltung, der deutschen Wirtschaft millionenfach Zwangsarbeiter zuzuführen.
Zwangsarbeiter in den Adlerwerken und ganz Frankfurt
Wann die Adlerwerke zum ersten Male ausländische Arbeitskräfte eingesetzt haben, lässt sich nicht ermitteln. Die Quellenlage erlaubt noch nicht einmal das ganze Ausmaß des Einsatzes ausländischer Arbeitskräfte einzuschätzen Nach der statistischen Erhebung der Deutschen Arbeitsfront (DAF) ergibt sich für die Spätsommer der Jahre 1942 und 1943 folgendes Bild:
1942: 598 Russen (darunter 117 Kriegsgefangene und 53 Frauen), 3 Polen, 1 Rumäne, 1 Slowake, 1 Kroate, 108 Franzosen, 10 Wallonen, 51 Flamen, 1 Holländer, 4 Italiener, 3 Spanier, 13 „Sonstige“.
1943: 545 Russen (123 Kriegsgefangene, 164 Frauen), 491 Ukrainer (137 Frauen), 18 Weißruthenen (1 Frau), 2 Polen, 1 Litauer, 1 Rumäne, 2 Serben, 4 Kroaten, 1 Ungar, 618 Franzosen (16 Frauen), 7 Wallonen, 22 Flamen, 1 Holländer, 3 Spanier, 11 „Sonstige“.
Diese durch Quellen belegten Zahlen entsprechen zwar in etwa den bekannten Lagerkapazitäten der Adlerwerke für Fremdarbeiter, allerdings waren die Unterkünfte oft überbelegt.
1942/43 wurde auf einer Freifläche in der Froschhäuser Straße im Stadtteil Griesheim ein Barackenlager errichtet, das für 2.000 „Ostarbeiter“ geplant war und im Werk IV, Krifteler Straße 47, bestand ein „Ausländerlager“ für 120-150 Personen. Dagegen ist es unwahrscheinlich, dass „Westarbeiter“ (Franzosen, Wallonen, Belgier und Holländer) gemeinsam mit „Ostarbeitern“ in einem Lager untergebracht waren. Selbst zwischen Russen, Weißrussen und Ukrainern bestanden feine Abstufungen; Kroaten, Ungarn, Spanier und Rumänen kamen als „Vertragsarbeiter“ und genossen gewisse Privilegien.
Zusätzlich zu den Fremdarbeitern wurden Kriegsgefangene, meist aus Frankreich und der Sowjetunion, eingesetzt, deren Arbeitseinsatz nicht der Kontrolle der Arbeitsverwaltung bzw. der Deutschen Arbeitsfront unterstand. So kann der gesamte „Ausländereinsatz“ während der Kriegsjahre zahlenmäßig nur annähernd eingeschätzt werden. In den unvollständigen Quellen lassen sich für Frankfurt knapp 50.000 ausländische Arbeitskräfte nachweisen, der gesamte Ausländereinsatz im Deutschen Reich wird auf 8 bis 12 Millionen Fremd- und Zwangsarbeiter geschätzt. Der Umfang der Zwangsarbeit für das Deutsche Reich in den besetzten Ländern ist so gut wie noch gar nicht erforscht
„Katzbach“
Kompensation des Fachkräftemangels und KZ-Außenlager
Abb. 7: Dokumentenmappe der Anerkennungsurkunde
Abb. 8: Anerkennungsurkunde für „hohen und vorbildlichen Leistungseinsatz“ in der Kriegsproduktion 1944
Die zivile, mehr noch die Rüstungsproduktion, bedurfte mit Beginn des Krieges einer immer größeren Anzahl von Arbeitskräften. Entgegen ihres ideologischen Anspruchs wurden mehr Frauen „dienstverpflichtet“, und ab 1942 auch „fremdvölkische“ Arbeitskräfte in nahezu allen Wirtschaftszweigen eingesetzt, um den kriegsbedingten Fachkräftemangel zu kompensieren. Mit der Zuspitzung der militärischen Lage des Deutschen Reiches transferierte das SS-Wirtschaft-Verwaltungs-Hauptamt (SS-WVHA) immer mehr KZ-Häftlinge an private und öffentliche Unternehmen. 1944 erreichte die Anzahl der KZ-Häftlinge in allen Konzentrationslagern den höchsten Stand. Weil nicht alle KZ-Häftlinge in den Stammlagern untergebracht waren oder werden konnten, gewannen die bis dato kleinen Außenlager bzw. Außenkommandos an Bedeutung, auch für den Arbeitseinsatz. Ab März 1944 knüpfte das SS-WVHA das Netz von Außenlagern weiter. Im August 1944 wurden im Rhein-Main-Gebiet drei KZ-Außenlager errichtet, die dem regional zuständigen KZ Natzweiler im Elsass unterstellt waren: am 22. August das Außenlager „Katzbach“ in den Frankfurter Adlerwerken, am 26.August das Außenlager in Walldorf nahe dem Frankfurter Flughafen und am 31. August das Außenlager „Darmstadt“ in Bensheim-Auerbach. Im September 1944 folgte noch ein Außenlager in Geisenheim im Rheingau.
KZ-Außenlager „Katzbach“
Das KZ-Außenlager „Katzbach“ wurde im Obergeschoss des südöstlichen Flügels des Stammwerkes der Adlerwerke eingerichtet. Die Unterbringung und die Arbeitsplätze der Häftlinge waren räumlich nicht getrennt und streng von den übrigen Fabrikräumen abgeschirmt. Mehr als 1.600 KZ-Häftlinge wurden für die Produktion von Rüstungsgütern aus verschiedenen Konzentrationslagern – überwiegend aus Buchenwald und Dachau – und deren Außenlager in den Adlerwerken zusammengezogen. Bei der Auswahl der Häftlinge ging die SS äußerst selektiv vor. Für die rüstungsrelevante Produktion (Halb- und Fertigzeuge für den Panzerbau und Munition) in den Adlerwerken benötigte man Ingenieure und Facharbeiter, die auch von anderen Kommandos und Außenlagern angefordert wurden. So wurden in den letzten Kriegsmonaten durch die konkurrierenden Interessen der verschiedenen KZ geschwächte, kranke und verwundete KZ-Häftlinge hin- und her verschoben, was vielen das Leben kostete.
Die Zustände im KZ-Außenlager „Katzbach“ waren erbärmlich. Auf engstem Raum waren ständig mehrere hundert Menschen zusammengepfercht. Die Verpflegung war unzureichend, die hygienischen Verhältnisse katastrophal. In der Zeit zwischen der Einrichtung im August 1944 und der Auflösung des Lagers im März 1945 starben mindestens 528 Menschen an Hunger, Krankheit und Folter. Mit den Toten auf den Transporten zu und nach den Adlerwerken, weist das KZ-Außenlager „Katzbach“ eine der höchsten Sterblichkeitsraten des KZ-Lagersystems auf.
Mit dem Näherrücken der US-Army wurde das Außenlager aufgelöst. In zwei Transporten erreichten zwischen dem 21. und 25. März 1945 900 Häftlinge das KZ Buchenwald. Die restlichen, noch in den Adlerwerken verbliebenen Häftlinge, wurden in der Nacht vom 24. auf den 25. März 1945 auf einen Todesmarsch gesetzt, der über Dörnigheim, Hanau, Gelnhausen und Fulda führte. In Hünfeld wurden die Überlebenden in einem Güterzug nach Buchenwald transportiert, wo am 30. März 280 Personen registriert wurden. Nach Zeitzeugenberichten starben etwa 120 bis 150 Häftlinge auf dem Todesmarsch. Die Gräber von sechs unbekannten Opfern, die ursprünglich auf dem Dörnigheimer Friedhof beigesetzt waren, finden sich heute auf der Kriegsgräberstätte in Schlüchtern.
Lange Wege zum Gedenken
Reorganisation der Verwaltung
Die kurze Zeit der Existenz des Lagers, die relativ dichte Abschottung vom Betriebsalltag in den Adlerwerken wie in der Frankfurter Öffentlichkeit, haben bei nur wenigen, in Frankfurt lebenden Zeitzeugen Erinnerungsspuren an das KZ-Außenlager hinterlassen. Kurz nach der Auflösung des Lagers wurde Frankfurt von amerikanischen Truppen besetzt, die Militärregierung setzte die Reorganisation der Verwaltung und des öffentlichen Lebens in Gang. Die Entlassung von Parteigenossen in der Verwaltung und in der Wirtschaft, sowie die eingeleiteten Spruchkammerverfahren waren zwar wichtige Schritte zur Demokratisierung der politischen Verhältnisse im Nachkriegsdeutschland, ersetzten aber keine aktive Auseinandersetzung mit den nationalsozialistischen Verbrechen. Viele Täter, so sie sich nicht ins Ausland abgesetzt hatten, konnten sich in den Wirren der Nachkriegszeit neue Identitäten verschaffen oder sich mittels inflationär beschaffbarer „Persilscheine“ vor den Spruchkammern von den Vorwürfen einer Mittäterschaft reinwaschen.
Erste Erinnerungsorte
Erste Veranstaltungen, die den Terror der Nationalsozialisten in Frankfurt memorierten, wurden von der amerikanischen Militärregierung initiiert. So wurden im März 1946 an den ehemaligen Standorten der großen Synagogen in der Börnestraße, am Börneplatz und in der Friedberger Anlage Gedenktafeln angebracht, die an deren Zerstörung in der Reichspogromnacht 1938 erinnerten. Auch der von der Militärregierung eingesetzte Oberbürgermeister Kurt Blaum erinnerte 1946 mit der Wiedererrichtung des „Opferdenkmals“, des jüdischen Bildhauers Benno Elkan, an die Opfer von Terror und Verfolgung. Für das im August 1946 vom Magistrat beschlossene „Denkmal für die Opfer des Faschismus“ sollte „im Rahmen des Aufbauplans für das Altstadtgebiet“ seinen Platz finden – so der Beschluss vom April 1947. Während die in den nachfolgenden Jahren geschaffenen weiteren Erinnerungsorte in Nied, Praunheim, Westhausen und in den jüdischen Friedhöfen den Opfern der rassischen und politischen Verfolgung gewidmet waren, blieben die Opfer der Zwangsarbeit bis 1949 ausgeblendet. Auf Initiative der Hamburger Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) und des Hamburger Senats wurde 1949 auf dem Ohlendorfer Friedhof ein Ehrenmal errichtet, in das auch je eine Urne mit Aschen und Erden des früheren Arbeitserziehungslagers in Heddernheim und des KZ Außenlagers in den Adlerwerken eingebracht wurde. Soweit zu überblicken ist, wurde damit erstmals offiziell der Zwangsarbeiter als Opfer des nationalsozialistischen Terrors gedacht.
Grabanlagen und Mahnmal
Das Gedenken an das KZ Außenlager in den Adlerwerken spielte dann ab Mitte der 50er Jahre im öffentlichen Diskurs um die heutigen Grabanlagen am „Hiob“ im Gewann I bzw. im Gewann E 151 auf dem Frankfurter Hauptfriedhof und um ein zentrales „Mahnmal für die Opfer“ des Nazi-Terrors“ eine Rolle. Während am „Hiob“ Fremd- und Zwangsarbeiter aus unterschiedlichen Ländern beigesetzt wurden, wurden im Gewann E überwiegend Opfer des KZ-Außenlagers in den Adlerwerken beerdigt (weitere Gräber von Zwangsarbeitern befinden sich auf einigen Stadtteilfriedhöfen, z. B. in Höchst).
In einer langen, intensiven Diskussion über das Mahnmal der KZ-Opfer an der Paulskirche, an der sich auch Eugen Kogon beteiligte, wurde das nationalsozialistische Lagersystem, einschließlich der KZ Außenlager, analysiert. Wegen der damals noch unüberschaubaren Vielzahl von KZ-Außenlagern hat man sich auf die ausschließliche Nennung der 53 Stammlager geeinigt.
Gedenken an „Katzbach“
Das Ausmaß der Zwangsarbeit im Außenlager „Katzbach“ in den Adlerwerken wurde erst durch die langjährigen Recherchen von Ernst Kaiser und Michael Knorn einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht. Die vielfältigen Details sind in dem Buch „Wir lebten und schliefen zwischen den Toten“ erstmals 1994 veröffentlicht und 1998 in der dritten Auflage vorgelegt.
Angesichts eines Besuches ehemaliger KZ Häftlinge 1993 wurde auf dieser Grundlage und der Initiative des Vereins „Leben und Arbeiten im Gallus und Griesheim e.V.“ am ehemaligen Werksgebäude der Adlerwerke in der Kleyerstraße eine Gedenktafel angebracht. Der Platz gegenüber wurde 1998 nach zwei auf ihrer Flucht erschossenen Zwangsarbeitern, Adam Golub und Georgij Lebedenko, benannt.
Auf Beschluss der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung im Jahre 2000 erhielten alle Überlebenden, die in Frankfurt zur Zwangsarbeit eingesetzt waren, eine Entschädigung in Höhe von 2000 DM (1022,58 €). Die Auszahlung erfolgte bis 2007 an 5.500 Betroffene oder ihre Angehörigen. Darunter befanden sich auch die Überlebenden des KZ Katzbach in den Adlerwerken.
Deckname „Katzbach“
Decknamen und Tarnbezeichnungen wurden meist für militärische Operationen und Objekte verwendet, finden sich aber auch in der nationalsozialistischen Rüstungs- und Kriegswirtschaft. Sie sollten der Verschleierung bzw. Irreführung von Aktionen, Operationen, Orten, Objekten etc. dienen. Mit Decknamen wurden auch die als „kriegsentscheidend“ eingestuften Maßnahmen der Kriegs- und Rüstungswirtschaft versehen. Vor allem die Untertageverlagerungen („U-Verlagerung“) von Fertigungsanlagen der Rüstungswirtschaft wurden aus Sicherheitsgründen mit Tarnbezeichnungen benannt. Der Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion erließ dazu am 15. April 1944 Grundsätze, wie die unterirdischen „Verlagerungsbauten“ zu benennen sind. Verwendet werden sollten Namen bzw. Bezeichnungen aus der Biologie, Numismatik, Gesteinskunde und männliche Vornamen. Dadurch lassen sich aus den Tarnbezeichnungen der „U-Verlagerungen“ die Strukturen der rüstungswirtschaftlichen Maßnahmen und Zusammenhänge erschließen.
Das ist offenbar bei dem Decknamen für das KZ-Außenlager in den Adlerwerken anders. In den verstreuten Dokumenten wird das Lager unterschiedlich bezeichnet: „Katzbach“, „Frankfurt-Main“, meistens aber „Adlerwerke“. Anscheinend hat man unter dem Druck der militärischen Lage auf eine systematische Verschlüsselung der KZ-Außenlager und ihrer Funktionen in der Rüstungsproduktion verzichtet oder von einer Tarnbezeichnung ganz abgesehen. Weder für Walldorf, Bensheim-Auerbach noch für Geisenheim wurde ein Deckname verwendet.
Warum „Katzbach“?
„Katzbach“ wurde während der Kriegsjahre zweimal in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen als Tarnbezeichnung verwendet. Das erste Mal 1941 in der Sowjetunion von der SS und dem SD zur Tarnung einer Festnahmeaktion gegen polnische Offiziere. Die Hintergründe für die Wahl dieser Tarnbezeichnung in diesem Fall müssen offen bleiben.
Als Deckname für das KZ-Außenlager in den Adlerwerken lassen sich gewisse historische Bezüge herstellen. Im Herbstfeldzug der Befreiungskriege begann am 26. August 1813 an dem schlesischen Flüsschen Katzbach unter dem Befehl von General Blücher eine entscheidende wie siegreiche Schlacht gegen die napoleonischen Truppen. Weil die Ausgangslage dieser Schlacht für die verbündeten preußischen und russischen Truppen zunächst ungünstig erschien, wurde der glückliche Sieg mit „der geht ran wie Blücher (an der Katzbach)“ sprichwörtlich tradiert. Der Lagerverwaltung in Natzweiler stand die bedrohliche militärische Lage aus eigener Anschauung überaus deutlich vor Augen. Angesichts der heranrückenden US-Army war das Lager bereits dezentralisiert und das Stammlager stand kurz vor der Räumung. Was lag – in der Logik der SS – näher, als ein Rückgriff in die Geschichte und das Außenkommando mit der Durchhalteparole „Katzbach“ zu benennen? Wegen der eher beiläufigen Verwendung des Decknamens „Katzbach“ kann eine rüstungswirtschaftliche Codierung ausgeschlossen werden.
Lutz Becht
Institut für Stadtgeschichte
Literaturhinweise:
Ernst Kaiser/Michael Knorn, „Wir lebten und schliefen zwischen den Toten. Rüstungsproduktion und Vernichtung in den Frankfurter Adlerwerken, Frankfurt/New York, 3. überarb. u. erw. Auflage 1998
Nicole Catherine Müller, „Deckname Katzbach“ – Zwangsarbeit und Vernichtung im KZ-Außenlager der Adlerwerke Frankfurt am Main 1944/45, wiss. Prüfungsarbeit für das Lehramt an Gymnasien, Johannes Gutenberg-Universität, Main, 2012
Robert Steegmann, Das Konzentrationslager Natzweiler-Stuthof und seine Außenkommandos an Rhein und Neckar 1941-1945, Berlin u.a., 2010
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Namensliste der Opfer des Kz-Außenlagers Katzbach/Adlerwerke
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Instituts für Stadtgeschichte,
Grünflächenamt 333.